Unmöglichkeit vor dem Frühstück
Vertretern moderner Spiele bezeichnen einen der Hauptkritikpunkte gegen die Klassiker als Impossible Thing Before Breakfast: „Der SL lenkt den Plot und die Spieler ihre Charaktere“ ist eine Forderung, die von vielen klassischen RPGs gestellt wird aber nicht erfüllt werden kann. Begründung: Die Charaktere sind die Hauptcharaktere der Geschichte, die erzählt wird. Wie kann der SL eine Geschichte erzählen, wenn er nicht die Hauptcharaktere kontrolliert?Die Aussage wird oft kritisiert, gegen die Begründung wird von so manchem Einspruch eingelegt. Allein schon die Tatsache, dass das ITBB vom GNS-Erfinder Ron Edwards ist, ist für so manch einen ein Grund, das als Schwachsinn abzutun. Das soll hier aber nicht das Thema sein. Hier möchte ich Lösungen für die Ünmöglichkeit aufzählen, die dem oben genannten Artikel entnommen sind, denn Lösungen scheint es ja zu geben.
Lösung 1: Illusionismus
Der Spielleiter kontrolliert die Geschichte und die Charaktere der Spieler — diese merken nicht, dass sie die Kontrolle nicht haben. Der SL lässt ihnen scheinbare Entscheidungen, sie gewinnen manchmal, sie verlieren manchmal; alles passt scheinbar zusammen. Aber eben nicht wirklich, denn tatsächlich hören die Spieler nur einer Geschichte zu, die der SL vorbereitet hat. Kein Charakter (weder SC noch SLC) wird ohne Zustimmung des SL sterben, kein Charakter wird ohne Zustimmung des SL gewinnen. Aber die Spieler merken nicht, dass sie keinen wirklichen Einfluss auf die Geschichte haben.Wird die Kontrolle des SL sichbar und fühlen sich die Spieler dadurch gestört, so handelt es sich um Railroading. Das kann man dann aber nicht mehr als Lösung des ITBB bezeichnen, da die Spieler keinen Bock haben, keine eigenen Entscheidungen treffen zu können. Wird die Kontrolle des SL dagegen gebilligt, rutschen wir in
Lösung 2: Partizipationismus
Dieser Spielstil unterscheidet sich nicht vom Illusionismus, außer, dass die Spieler wissen, dass sie keinen echten Einfluss haben. Sie können höchstens die Farbe des Spieles verändern, nicht aber die Richtung. Die Techniken aus Sicht des SL sind dieselben wie die für Illusionismus.Sobald sich die Spieler durch die Kontrolle des SL gestört fühlen (z.B. weil er die gewünschte Illusion nicht aufrecht erhalten kann), spricht man von Railroading.
Für einen Beobachter sind Illusionismus und Partizipationismus nicht zu unterscheiden. Es kann sogar sein, dass ein Spielleiter denkt, er wäre ein Illusionismus-SL, in Wahrheit wissen aber seine Spieler davon und haben es stillschweigend akzeptiert, weswegen die Gruppe tatsächlich dem Partizipationismus folgt. Wegen diesen Problemen bei der Unterscheidbarkeit (und der schwierigen Schreibweise) verzichte ich üblicherweise auf Partizipationismus als eigenen Spielstil. Ich sage: Reinen Illusionismus wird kaum ein SL über längere Zeit aufrecht erhalten können; die Spieler wissen eh immer, dass man Würfel dreht und sie versucht, durch Tricks beim Plot zu halten. Also reicht das Wort „Illusionismus“ völlig aus.
Lösung 3: Trailblazing
Beim Trailblazing folgen die Spieler freiwillig einer Spur, die der SL legt. Er gibt Hinweise, wo der Plot weitergeht und die Spieler lenken ihre SCs dorthin und lösen die dort gestellte Aufgabe (oder scheitern dran). Der Plot ist meist grob linear; es kann auch Abzweigungen geben, so dass die Spieler eine echte Entscheidung treffen, wo es weiter gehen soll. Häufig führen die verschiedenen Stränge nach wenigen Schritten wieder zusammen oder die einzelnen Stationen können nur in der Reihenfolge vertauscht werden, so dass die Wahl letztendlich doch keine ist, was diesen Spielstil auch wieder schwierig von Illusionismus unterscheidbar macht. Das Hauptmerkmal ist hier tatsächlich aber, dass die Spieler häufig eine echte Wahl haben, jedoch freiwillig der Spur des Spielleiters folgen.Auch hier kann es zum Railroading kommen, wenn der SL eine zu starke Kontrolle ausübt. Diese sieht meist so aus, dass den Spielern die Freiwilligkeit fehlt: Die falschen Wege werden durch Hindernisse versperrt. Eine andere Art von „Railroading“ ist hier, wenn es nötig ist, die Charaktere zu verbiegen, nur um den Gruppenvertrag zu erfüllen und der Spur zu folgen. Denn durch die Einigung, dass die Charaktere die gelegten Hinweisen auf den Plot suchen und ihnen folgen, werden sie indirekt vom SL gezwungen.
Trailblazing ist wohl die Spielart, die von den meisten DSA-Abenteuern verlangt wird und daher vielen hier sehr vertraut sein dürfte, vielleicht gemischt mit einem Schuss Illusionismus.
Lösung 4: Bass Playing
Hier wird die Kontrolle des Plots tatsächlich in Teilen an die Spieler abgegeben. Wie ein Bassist einer Rockband ist der SL ein wichtiger Rhythmus-Geber und legt die Grundsteine für Stimmung und die Harmonien, drängt sich jedoch nur bei den seltenen Bass-Soli in den Vordergrund. Aufs Spiel übertragen bedeutet das: Der SL bereitet SLCs mit Persönlichkeiten und Handlungsgrenzen vor und hält Bangs bereit und schmeißt die SCs in eine interessante, konfliktreiche Situation. Der SL spielt dann die SLCs, die Spieler reagieren auf die Situation und spielen ihre SCs. Wie das Ganze ausgeht, ist am Anfang völlig unklar, da der SL zwar die Situation vorbereitet hat, aber während der Sitzung ein fast gleichberechtigter Mitspieler ist. Nur, wenn das Spiel abflacht, greift der SL in seine „Trickkiste“ und zieht einen Bang oder die nächste Eskalationsstufe aus dem Hut.Fazit
Es gibt Lösungen für das Impossible Thing Before Breakfast, es gibt Spielstile, bei denen der SL die Geschichte in der Hand hält und die Spieler ihre Charaktere spielen.Lösungen 1—3 sind sich recht ähnlich: Der SL hat die volle Kontrolle über den Plot. Als Illusionist lenkt er die SCs ohne Wissen der Spieler. Als Partizipationist lenkt er die SCs ohne zu auffällig zu sein. Als Trailblazer lenkt er die SCs, weil die Spieler ihm folgen. Hier lauern viele Railroading-Fallen; die Spieler können zwar ihre Charaktere ausspielen, haben jedoch nur sehr begrenzten Einfluss auf die gespielte Geschichte.
Lösung 4 geht schon deutlich vom reinen SL-gelenkten Plot weg, hin zur freien Mitgestaltung der Story durch die Spieler. Dadurch muss der Spielleiter aber während des Spiels sehr viel mehr improvisieren.